Im Laufe meiner Beschäftigung mit der Vegetationsgestalt sind etwa 60 farbige Aquarellbilder und mehrere Hundert schwarzweiße Japantusche-Profilbilder entstanden. Sie alle habe ich jedoch nicht mit dem Anspruch gemalt, Kunstwerke zu schaffen. Es ging eher darum, einen ästhetischen Zugang zur Lebenssphäre der Landschaft, der Vegetation, zu suchen. Dabei habe ich bewusst das Augenmerk weniger auf einzelne Blumen als vielmehr auf den Zusammenhang der grünen Vegetationsdecke gerichtet. Bei dem Versuch, schon in der Wahrnehmung die ganzheitliche Blick- und Denkrichtung zu schulen, ist gerade das Aquarellmalen eine große Hilfe.
Oft wird unsere Wahrnehmung dadurch gestört, daß wir unmittelbar nach Erklärungen suchen, beispielsweise: „Warum hat die Pflanze dort wohl so breite Blätter? Wahrscheinlich doch, um mehr Licht aufzufangen.“ Wir ziehen uns damit aus dem Prozess des Wahrnehmens heraus, indem wir dem Objekt eine Denkfigur überstülpen. Das läuft – leider – fast immer automatisch ab.
Mit dem Malen haben wir jedoch eine Hilfe an der Hand, wenigstens eine Zeit lang in der Wahrnehmung zu bleiben. Durch den Prozess des Malens oder Zeichnens von Vegetation wird eine intensive wahrnehmende Verbindung zu den Objekten hergestellt, die die Frage nach einer Erklärung fast automatisch in den Hintergrund treten läßt, da man so sehr mit dem Hinschauen beschäftigt ist.
Wenn man nun allerdings die Technik des Zeichnens wählt, ist die Versuchung groß, sich wiederum auf die einzelnen Pflanzenindividuen zu konzentrieren. Denn beim Zeichnen ist durch die feine Linienführung die Möglichkeit der Detaillierung groß. Bleistift, Kugelschreiber oder Tuschestift fordern geradezu den Fokus auf die Einzelgestalt.
Demgegenüber bietet das Aquarellmalen einen ganz anderen Zugang. Fast zwangsläufig wirkt diese Technik einer zu großen Detaillierung entgegen. Durch die mehr flächige Malweise wird das Herausarbeiten individueller Einzelgestalten erschwert bis unmöglich. Der positive Effekt des Aquarellmalens liegt also darin, daß ein unmittelbarer Zugang zur Vegetationsgestalt als Ganzer gegeben ist.
Wir haben auf verschiedenen Exkursionen dieses Vegetationsmalen ausprobiert. Am Anfang war die Aufgabe sehr schwer. Zwar verhinderte die Aquarelltechnik die Abbildung einer detaillierten Ansammlung von Pflanzenindividuen, aber nun lag die Gefahr auf der anderen Seite: Statt eines Vegetationsbestandes malten wir nun Landschaften. Wir mußten uns dann wieder klar machen, daß es nicht um das Malen schöner Landschaftsbilder ging (in denen mehrere Pflanzengesellschaften die Bildkomposition ausmachten), sondern darum, eine Pflanzengesellschaft so darzustellen, daß ihre Gestalt unmittelbar deutlich und mit anderen Vegetationsgestalten vergleichbar wurde.
So hatten wir beispielsweise bei Darstellungen von Wiesen das „Wesentliche“ (nämlich die Wiese selbst) oft nur dadurch sichtbar machen können, daß wir deren Grenzen malten: Einen Graben, eine Hecke, einen Weg … Das Wesentliche blieb „für die Augen unsichtbar“. Dennoch sollte ja gerade das im Bild dargestellt werden.
Aus diesen Versuchen zur Gestaltannäherung ging hervor, daß die Vegetationsgestalt am ehesten durch das Profil abgebildet wird, also durch die Strukturgliederung in der Vertikalen. Denn diese bleibt ja – eine einheitliche Vegetationsfläche vorausgesetzt – immer gleich, unabhängig davon, wie groß die Fläche ist, wie die Grenzen beschaffen sind, ob sie sich über Hügel oder durch Täler zieht.
Bei solch einer näheren Beschäftigung mit der Vegetation kann man in dieser „lesen“ lernen, und man merkt, dass die Vegetation so etwas wie die Schrift der Landschaft ist, die vieles über Kräftewirkungen des jeweiligen Ortes erzählen kann.
Literatur zum Thema Vegetationsfarben
- B. Hering (2004): Farben im Jahreskreis. Entwurf einer Farbphänologie Mitteleuropas am Beispiel zweier Standorte im Naturschutzgebiet Heuckenlock an der Süderelbe bei Hamburg. – Als pdf bei www.bertolt-hering.de
- H.-Ch. Vahle (2007): Die Pflanzendecke unserer Landschaften. Eine Vegetationskunde. – Verl. Freies Geistesleben, Stuttgart (im Druck, Auslieferung 10.10.2007).
- O. Wilmanns (1999): Vegetationsfarben. – Ber. Reinh.-Tüxen-Ges. 11: 367-384.
- O. Wilmanns (2001): Farbcharakteristika der Vegetation des Schwarzwaldes – mit einem vergleichenden Blick auf die Schwäbische Alb. – Mitt. bad. Landesver. Naturkunde u. Naturschutz N.F. 17 (4): 793-826. Freiburg.