Die nordwestdeutsche Geest war früher eine Heide- und Moorlandschaft. Die Heidebauernwirtschaft wandelte die ursprünglichen Eichen- und Birkenwälder in weite Heideflächen um, die durch Schafbeweidung, Abplaggen (Sodenstechen) und Brandkultur offen gehalten wurden.
In dieser lichten und windigen Landschaft lagen zahlreiche kleine und größere Seen und Flachweiher, deren Grund in der sandigen, kargen Landschaft nur aus reinem Sand bestand. Der extrem nährstoffarme Lebensraum beherbergte eine spezielle Flora, die an diese Situation genau angepasst war und die nur aus sehr wenigen, aber sehr seltenen Pflanzenarten bestand: Brachsenkraut (Isoetes lacustris), Wasserspleiße oder Lobelie (Lobelia dortmanna) und Strandling (Littorella uniflora). Obwohl aus ganz verschiedenen Pflanzenfamilien stammend, zeigen alle drei doch die gleiche Wuchsform: kleine binsenartige Gestalten, die den sandigen Gewässergrund mit einem lockeren bis dichten Rasen überzogen.
Heute sind diese Heideweiher und Heideseen weitgehend von der Bildfläche verschwunden, weil die alte Heidelandschaft in die moderne Agrarlandschaft umgewandelt wurde. Die drei Pflanzenarten stehen ganz weit oben auf der Roten Liste und das Brachsenkraut ist so gut wie ausgestorben.
Einer der Heideseen, der Wollingster See in der Stader Geest zwischen Bremerhaven und Bremervörde, hatte seinen typischen Charakter noch bis ins 20. Jahrhundert erhalten. Kristallklares Wasser, weißer Strand und heller Sandgrund ohne Schlamm sind bzw. waren seine Qualitätsmerkmale. Dass sich solch ein paradiesischer Zustand über Tausende von Jahren – nämlich seit der letzten Eiszeit – erhalten konnte, ist und war nur durch eine Verkettung von vielen Besonderheiten, ja „Unwahrscheinlichkeiten“, möglich. Und es führte letztendlich dazu, dass der Wollingster See in alten Zeiten sogar zu einem heiligen Ort, einem Kultplatz wurde.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann dieser besondere Lebensraum jedoch zu degenerieren, vor allem durch landwirtschaftliche Intensivierung der Umgebung und durch Badetourismus. In den 90er Jahren bildete sich deshalb ein Förderverein für den See, der sich seither um dieses Naturkleinod kümmert (www.wollingster-see.de). Dennoch ist während dieser Zeit das Brachsenkraut im See ausgestorben, weil bis dahin der völlig falsche Fischbesatz nicht berücksichtigt wurde. Diese Fische, vor allem Karpfen und ihre Verwandten, gründeln im Boden und reißen so die kleinen Bodenpflanzen aus dem lockeren Sand. Leider ist das Fischproblem nicht nachhaltig in den Griff zu bekommen – es gibt auch hier Begehrlichkeiten – und so bleibt die Frage offen, was aus dem Wollingster See, dem letzten Heidesee Deutschlands, in Zukunft wird.
Eigene Literatur zum Thema:
- H.-Ch. Vahle (1990): Grundlagen zum Schutz der Vegetation oligotropher Stillgewässer in Nordwestdeutschland. – Naturschutz Landschaftspfl. Niedersachs. 22: 157 pp. (Dissertation).
- H.-Ch. Vahle (1997): Der Wollingster See. – In: C. von Glahn (Hrsg.): 800 Jahre Wollingst. Wollingst: 299-330.
- H. Drengemann & H.-Ch. Vahle (1998): Zur Geschichte der Vegetation am Wollingster See. – Mitt. AG Geobot. Schleswig-Holstein u. Hamburg 57: 28-35.
- H.-Ch. Vahle (1998): Gedanken zur Weiterentwicklung des Wollingster Sees – ein persönliches Fazit des Symposiums. – Mitt. AG Geobot. Schleswig-Holstein u. Hamburg 57: 145-150.
- H.-Ch. Vahle (1999): Der Wollingster See. – Faltblatt zur Erhaltung und Entwicklung eines oligotrophen Heidesees. Hrsg.: Arbeitsstelle für Vegetationskunde e.V., Hannover.
- H.-Ch. Vahle (2007): Die Pflanzendecke unserer Landschaften. Eine Vegetationskunde. – Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart. 384 S.
- H.-Ch. Vahle (2019): Lobelien-Seen in Europa. – Bremer Beiträge für Naturkunde und Naturschutz 9: 7-14.